Literarischer Streifzug durch die deutsche Küche


28. März 2021
Deutsche Küche

„Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist“. Das merkte schon im 18. Jahrhundert der Franzose Jean Anthelme Brillat-Savarin an, der als Begründer der Gastrosophie, der Wissenschaft vom guten Essen, gilt. Allerdings wird gutes, genussvolles und auch gesundes Essen von Kultur zu Kultur und Generation zu Generation nicht immer gleich verstanden. Und sicher ebenso wenig eindeutig zu treffen sind die kulinarischen Vorlieben einer ganzen Nation. Analysen gibt es jedoch. Für die deutsche Küche, ja sogar für das deutsche Wesen überhaupt,  stehe die Kartoffel, findet etwa Autor Wolfgang Herles. Obwohl sie nicht von hier stammt und auch in deutscher Scholle nicht früher heimisch war als anderswo in Europa. Und obwohl bei uns weder Geschmack noch Kartoffelsorten im Vordergrund stehen. Denn die Franzosen kennen nicht weniger als 46 verschiedene Arten, „pommes de terre“ zuzubereiten, während wir sie einfach nur „vorwiegend festkochend“ kaufen. Womit sich nun auch der Titel von Herles’ über 400 Seiten starken Buchs erklärt.

Rezepte sucht man in diesem Werk vergebens. Der Autor und Fernsehjournalist  begibt sich stattdessen auf einen Streifzug durch die Geschichte und Gegenwart der deutschen Küche. In 64 Kapiteln arbeitet er sich von „Apfelbaum“, „Butterbrot“ und „Bohnenkaffee“ über „Gutbürgerlich“, „Kochkunst“ und „Maultasche“ hin zu „Saumagen“, „Thermomix“ und „Zukunft auf dem Teller“. Als eine Art Bekenntnis zur Lust am guten Essen und Trinken, die allerdings „Moralaposteln und Körnerfressern“ weniger munden könne und auch nicht ins Regal der „Ernährungsratgeber und professionellen Kostverächter“ passe.

Herles untersucht die deutsche Küche genau

Die einzelnen Kapitel sind nicht nur recht unterhaltsam zu lesen. Sie sind auch anregend, geht Herles doch der Vielfalt der Küchen und Gerichte sowie typischen Eigenheiten der deutschen Nahrungsaufnahme samt ihrer Geschichte auf den Grund. Auf sechs Seiten widmet er sich etwa dem Frühstück. In England stelle das „breakfast“ – mit Porridge, Bohnen, Speck, Würstchen, Grilltomate, Eierspeisen, Toast – den Grundpfeiler der Ernährung dar. Vielleicht deshalb, weil danach auch nichts Wesentliches mehr zu folgen vermöge. Für den Franzosen sei das „petit-déjeuner“ dagegen ohne Belang, komme doch später noch so viel Gutes. Nach der Völlerei des vorherigen Abends reiche ein schlichtes Croissant und ein großer Pott „café  au lait“ völlig aus.

Das deutsche Frühstück hingegen liegt seiner Meinung nach irgendwo dazwischen – auch wenn es heißt: Frühstücken wie ein König, Abendessen wie ein Bettelmann. Es könne sich nicht entscheiden zwischen maßvoll und maßlos, beginne beim ordentlichen Deutschen aber stets mit: dem Frühstücksei. Idealerweise wachsweich, so dass das Gelbe vom Ei noch flüssig und das Weiße schon fest sei. Herles’ „Liebeserklärung an die deutsche Küche“, wie er im Vorwort schreibt, geht aber weitaus tiefer. Übers Gabelfrühstück, bei dem am späten Vormittag herzhafte kalte und warme Speisen mit alkoholischen Getränken serviert wurden und das bereits 1804 in August von Kotzbues „Erinnerungen an Paris“ Erwähnung fand, kommt er zu Thomas Manns „Buddenbrooks“ und Reichskanzler Bismarck. An anderer Stelle, im Kapitel „Rülpset und furzet!“ wiederum zitiert er Luther und Goethe.

Vieles ist schön beobachtet oder historisch recherchiert, was auch sein umfangreiches Literaturverzeichnis von Heinrich Böll („Das Brot der frühen Jahre“) über Knigge („Über den Umgang mit Menschen“) bis hin zu Zuckmayer („Der fröhliche Weinberg“) belegt. (cro)  

Weitere Buch-Tipps gibt es übrigens hier.

Thema eines eigenen Kapitels: der Saumagen vom Wachenheimer Metzgermeister Hambel. (Foto: frei)

„Vorwiegend festkochend –
Kultur & Seele
der deutschen Küche“

von Wolfgang Herles

Penguin Verlag, München 2019

416 Seiten mit zahlreichen farbigen Fotografien

29 Euro 

Autor Wolfgang Herles.
(Foto: Hans Scherhaufer)