Buch zur Erfolgsgeschichte der Pizza


12. September 2022
Pizza

Technisch gesehen sei die Pizza ein „mikrobiell gesäuertes Fladenbrot“, das mit Belag gebacken – oft mit Tomaten, Käse oder beidem, aber mitunter auch ohne beides – und heiß gegessen werde. So definiert der US-amerikanische Food-Forscher Nathan Myhrvold ein kulinarisches Phänomen, das es sogar in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes geschafft hat. Und zwar in seiner (vermutlich) neapolitanischen Form.

Neapel spielt im Pizzastammbaum eine besondere Rolle: 1618 wird hier erstmals eine „Pizza fritta“ mit Öl erwähnt, was als Geburtsstunde gilt. Im 17. Jahrhundert war Pizza noch ein „Arme-Leute-Essen“. Global verbreitet habe sie sich, so Nathan Myhrvold, durch arme Neapolitaner, die in der Neuen Welt oder anderswo ein besseres Leben suchten. In Süditalien, wo sie reichlich gedeihen, wurden Tomaten als Topping hinzugefügt. In Neapel kamen bald auch erlauchte Kreise auf den Geschmack und der Käse ins Spiel: Pizzaiolo Raffaele Esposito von der Pizzeria Brandi soll die legendäre und bis heute beliebte Pizza Margherita erfunden haben: Am 11. Juni 1889 lieferte er eine Pizza im Auftrag von König Umberto I. an dessen Frau Margherita, nach der sie benannt wurde. Für den Belag soll er die Zutaten in den italienischen Nationalfarben gewählt haben: Basilikum (grün), Mozzarella (weiß) und Tomaten (rot).

Salz im Pizzateig wirkt als Gewürz und auf die Aktivität der Hefekulturen

Inzwischen hat die Pizza ihren Siegeszug rund um die Welt absolviert. Überall wurde sie abgewandelt und dem jeweiligen Geschmack angepasst. So gibt es heute ungezählte Rezepte, die sich vom Teig her ebenso unterscheiden wie im Belag. Bei Letztgenanntem mag das nicht verwundern, passt doch auf eine Pizza wirklich alles, was man gerne isst. Aber auch der Teig ist bei seiner übersichtlichen Zutatenliste überraschend wandelbar, seine Herstellung eine Wissenschaft für sich.

Der Autor widmet in seinem umfangreichen Pizza-Kompendium allein schon dem Salz ein eigenes mehrseitiges Kapitel, das es in unterschiedlicher Form gibt, darunter Salz-Flocken, grobes Salz und feines Salz, Meersalz, Steinsalz, Himalaya-Salz… Vor allem aber kommt es auf die richtige Menge an. Bei der klassischen Pizza Neapolitana sprechen manche von 2,5 Prozent Salz im Verhältnis zum Mehl, also 25 Gramm Salz auf ein Kilogramm Mehl. Dabei wirkt das Salz nicht nur als Gewürz, sondern auch auf die Aktivität der Hefekulturen. Die Salzmenge spielt also eine wichtige Rolle dabei, wie schnell der Teig „geht“ und ist somit letztlich auch wichtig für die Konsistenz. Dann kommt die Wahl des Mehls hinzu: Schon vom Brot weiß man, wie sehr unterschiedliche Mehlarten und Körnungen den Geschmack prägen. Und neben Salz- und Mehlauswahl und der jeweiligen Menge ist dann auch noch die richtige Teigbereitung eine Herausforderung für sich. Willkommen im Pizza-Universum. (wig)

 Weitere Buch-Tipps gibt es übrigens hier.

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Eigentlich wird Pizza nicht in mundgerechte Stücke zerteilt – der Tradition nach wird sie vor dem Verspeisen gefaltet. (Foto: Nathan Myhrvold/The Cooking Lab, LLC)

„Modernist Pizza“ von Nathan Myhrvold

Phaidon,  2022

Drei Bände mit Rezepthandbuch im Metallschuber, 375 Euro

 

Unser Fazit:

Pizza ist eine Wissenschaft für sich, ein eigenes Universum. Und jeder Pizzabäcker, sei er noch so erfahren, kann immer noch was lernen. Diese Erkenntnis gewinnt, wer sich durch das Kompendium „Modernist Pizza“ arbeitet. Denn von Arbeiten darf man durchaus sprechen. Kurz mal durchblättern? Fehlanzeige. Hier kommt das Studieren vor dem Probieren. Das Kompendium umfasst drei dicke Hochglanzwälzer: „Geschichte und Grundlagen“, „Techniken und Zutaten“, „Rezepte“ – und obendrein ein Küchenhandbuch. Die Kunst des Pizzabackens auf rund 1700 Seiten mit rund 500 Experimenten und 3700 Fotos. Damit, und weil es „Modernist Pizza“ in verschiedenen Sprachen gibt, könnte es weltweit zur Pizza-Bibel avancieren. Allerdings werden die unterschiedlichen Formen von Pizza bis in Kleinste seziert und analysiert, was nicht jedermanns Sache sein mag. Intuition und Zufall finden vor den Augen von Autor Nathan Myhrvold, von Haus aus Wissenschaftler, keine Gnade. „Backen ist eine Technik, und Kochen ist eine Wissenschaft“, findet er. Und so erforscht und dokumentiert er in seiner Laborküche in Seattle mit einem sechsköpfigen Team Koch- und und Backprozesse. Basierend auf seinen Erkenntnissen sind bereits die monumentalen Werke „Modernist Cuisine“ und „Modernist Bread“ (Brotkompendium) erschienen.

Das steht allerdings keineswegs im Gegensatz zum Genuss. Und so macht – bei aller Akribie und Masse an Material – „Modernist Pizza“ auch Appetit darauf, sich durch mannigfaltige Ideen durchzuprobieren und die ureigene perfekte Pizza wie im Baukastensystem zusammenzustellen. Aber Vorsicht: Wer diese Bücher sichtet, wird die schnöde Tiefkühlpizza künftig links liegen lassen … (wig)

Rezepttipp:

Die „ultimative“ Pizza Margherita nach Nathan Myhrvold

Zutaten: 
Für 1 Kilogramm Teig (für Pizza Nepolitana nach Erkenntnissen des Food-Forschers Nathan Myhrvold): 380 g Wasser (21°C warm), 0,24 g Instant-Trockenhefe (1/8 TL), 610 g Mehl, 15 g feines Salz
Für den Belag (pro 250 g Teig): 100 g Mozzarella „Fior di Latte“, 120 g Tomatensauce für Pizza Napoletana, 9 Basilikumblätter, 1-2 TL natives Olivenöl extra

Myhrvolds Extra-Tipps: Mehl Type 00 der Marken „Le 5 Stagioni Pizza Napoletana“, „Caputo Pizzeria“ oder „Polselli Classica“ wählen. Zusätzlich gibt Myhrvold die winzige Menge von 0,06 g Fleischzartmacher als „Teigentspanner“ hinzu. Dazu 1/8 TL Fleischzartmacher in sechs gleiche Teile teilen und einen Teil davon verwenden.

Zubereitung:
Teig: Wasser und Hefe in der Rührschüssel vermengen, bis sich die Hefe aufgelöst hat. Mehl und Fleischzartmacher zufügen und mit Knethaken bei niedriger Stufe zu einer groben Masse vermengen. Salz zugeben und bei mittlerer Stufe kneten. Teig 20 bis 24 Stunden bei 21°C gut abgedeckt ruhen lassen, vier Kugeln zu je 250 g formen, in eine mit Wasser befeuchtete Wanne legen und abgedeckt bei 21°C drei Stunden ruhen lassen. Zum Pizzaboden ausrollen.
Belag: Den Käse mit dem Pommesschneider in Streifen schneiden und über Nacht abtropfen lassen. Den Backofen vorheizen. Die Soße und den Käse zwei Stunden vor Gebrauch temperieren. Die Sauce gleichmäßig auf dem Boden verteilen, dabei einen 2,5 Zentimeter breiten Rand aussparen. 6 Basilikumblätter auf der Soße am Teigrand verteilen und drei in die Mitte legen. Den Käse gleichmäßig darauf verteilen, so dass die Basilikumblätter bedeckt sind. Olivenöl spiralförmig über die Pizza träufeln. Die Pizza in den Ofen schieben und immer wieder drehen, bis rundherum ein gleichmäßiges Leopardenmuster entstanden ist.

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Die italienischen Nationalfarben kommen mit grünem Basilikum, weißem Mozzarella und roten Tomaten auf eine echte Magherita. (Foto: Nathan Myhrvold/The Cooking Lab, LLC)