Warme Sommer, milde Winter, wenig Niederschlag und tausend sanfte Hügel – das ist Rheinhessen. Im größten deutschen Weinanbaugebiet wird schon seit mehr als 2000 Jahren Wein angebaut. Es liegt linksrheinisch und ausschließlich in Rheinland-Pfalz. Im vergangenen Jahrhundert hatte dieser laut Volksmund nicht immer die beste Qualität. Doch die junge Winzergeneration zwischen Worms, Mainz, Bingen und Alzey hat sich aufgemacht, Qualität und Ruf zu verbessern. Mit Erfolg: Inzwischen kommen viele Spitzenweine aus dem knapp 27.000 Hektar großen Weinanbaugebiet. Zudem gibt es rund 200 ökologisch produzierende Betriebe, die 2019 rund zehn Prozent der gesamten Weinanbaufläche bewirtschafteten – und ihr Anteil wächst stetig.
In der warmen Jahreshälfte gedeihen im sogenannten Rheinknie an über einer Million Rebstöcken Trauben. Die Region bringt es auf fast 2000 Sonnenstunden im Jahr bei nur 530 Milliliter Durchschnittsniederschlag. Rund 3000 Winzer in beinahe allen Gemeinden der Region betreiben Weinanbau. Begünstigt werden sie von natürlichen Gegebenheiten: Donnersbergmassiv, Taunus und Hunsrück halten Regen und kalte Winde fern. Neben dem besonders milden Klima zeichnen unterschiedlichste Böden Rheinhessen aus – so gibt es Regionen mit vornehmlich kalkhaltigen Lehm- und Tonböden, rote Ton- und Sandsteinböden, Mergel- und Keuperböden sowie Porphyr- und Schiefertoninseln.
Das Weinanbaugebiet ist eingeteilt in die drei Bereiche Bingen, Nierstein sowie das Wonnegau rund um Alzey. Insgesamt besteht es aus 23 Großlagen, die wiederum in über 400 Einzellagen gegliedert sind. Ursprung des Weinanbaus war die Ankunft der Römer vor über 2000 Jahren in Mainz. Viele Offiziere und Beamte der Römer ließen sich an den warmen Südhängen des Rheins nieder und betrieben in kleinem Umfang Weinbau. Später taten es ihnen die Herrscher Burgunds sowie der Franken nach. Im Mittelalter waren die zahlreichen Klöster die Motoren der Weinkultur. Aus dieser Zeit stammt auch die älteste urkundliche Erwähnung einer Weinbergslage in Deutschland: die Niersteiner Glöck. Sie zählt zu den berühmten Lagen des Roten Hangs und wurde 742 in einer Schenkungsurkunde an das Bistum Würzburg erwähnt. Die gut zwei Hektar große Lage ist heute im Alleinbesitz der Staatlichen Weinbaudomäne Oppenheim, wird ökologisch bewirtschaftet und ist von einer Jahrhunderte alten Mauer umgeben.
Der Niederländer Peter Joseph Valckenberg war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Worms Initiator der Erfolgsgeschichte der Liebfrauenmilch. Er nutzte die Qualität des Weins und die Legende, die sich darum rankte: Die gotische Stifts- und Wallfahrtkirche „Liebfrauen“ inmitten der Wormser Weinberge zog mit ihrem überlebensgroßen Gnadenbild zahlreiche Pilger an, denen die Kapuziner- Mönche laut Überlieferung Wein ausschenkten. Die Trauben dafür wuchsen um die Kirche herum. Der süße Wein kam den Wallfahrern so gut vor, als schmeckten sie „die Milch unserer lieben Frau“. Der Verkauf der Liebfrauenmilch ins Ausland markiert den Beginn des deutschen Weinexports. Heute ist Valckenberg in Worms das älteste familiengeführte Weinhandelshaus in Deutschland; dem zugehörigen Weingut Liebfrauenstift gehören 90 Prozent der Weinbergslagen rund um die Kirche. „Liebfrauenmilch“ zählte zeitweise zu den Kostbarkeiten auf internationalen Weinkarten und Süßweine jener Lage genossen ein ähnlich hohes Ansehen wie ihre Pendants aus dem Rheingau oder von der Mosel.
Der Name war allerdings nicht geschützt und so verkauften später viele Winzer und Händler der Region ihre Süßweine unter dem Label „Liebfrauenmilch“ – auch jene, mit weniger guter Qualität. Sie schadeten damit Image, Nachfrage und Preis der rheinhessischen Weine. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war denn auch eher von Quantität denn Qualität geprägt. Seit einigen Jahrzehnten jedoch geht es der jungen Winzergeneration wieder um Klasse statt Masse.
Etwa dreiviertel der Fläche Rheinhessens sind mit weißen Rebsorten bestockt. Rotwein wird großflächig um Ingelheim und im Wonnegau angebaut. Tonangebend im Reigen der Weißwein- Erzeugnisse ist der Riesling, gefolgt vom Müller-Thurgau. Weiterhin werden Silvaner, Grau- und Weißburgunder sowie Kerner angebaut, bei den Rotweinen dominieren Dornfelder, Portugieser und Spätburgunder. Eine besondere Stellung nimmt der Silvaner ein, der bis vor etwa 60 Jahren auf der Hälfte der Anbaufläche wuchs: Er schafft es zwar heute nur noch auf rund acht Prozent Anteil an den Rebflächen, Rheinhessen ist aber mit über 2000 Hektar weiterhin das größte Silvaner-Anbaugebiet weltweit.
Typisch für die rheinhessischen Weinanbaugebiete sind die sogenannten Trulli. Die Weinberghäuschen sind für die Geräte der Winzer, für Pausen und als Unterstand bei Gewitter gedacht und stammen von italienischen Rundhäusern ab. In Rheinhessen wurden viele von ihnen im 18. Jahrhundert errichtet. Heute gibt es noch schätzungsweise 30 bis 40 der oft schneeweißen, runden Bauten, von denen etliche unter Bestand- oder Denkmalschutz stehen. In den Weinbaugemeinden locken vielmals Straußwirtschaften zur Einkehr: Im typischerweise von Winzern selbst geführten, saisonal geöffneten Gastbetrieb, gibt es lokale Tellergerichte zum Wein – und vor allem rheinhessische Gastfreundschaft und geselliges Beisammensein.
Wer Lust bekommen hat, sich näher im rheinhessischen Weinanbaugebiet umzuschauen, könnte Halt in Mainz, Worms, Bingen, Nierstein, Alzey, Ingelheim, Oppenheim oder in einem der rund 120 kleinen und großen Weinanbaugemeinden machen. Es gibt hier zwar keine große Dichte romantischer Blickfänge oder beeindruckender Steillagen wie in anderen deutschen Weinanbaugebieten – die sonnenverwöhnten Hügel, die Weite der Landschaft, die heimeligen Orte sowie Gastfreundschaft und inzwischen oft hochklassige Weine sprechen aber klar für das größte deutsche Weinanbaugebiet.
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Das Weingut Valckenberg in Worms mit Lagen rund um die Wallfahrtskirche Liebfrauen ist das älteste familiengeführte Weinhandelshaus Deutschlands. (Foto: Deutsches Weininstitut)
1888 wurde unter dem Haupthaus der Sektkellerei Kupferberg bei Mainz (im Bild) mit sieben Stockwerken der tiefste Sektkeller der Welt errichtet. (Foto: Deutsches Weininstitut)
Die schneeweißen Trulli, nach italienischem Vorbild geschaffene Rundhäuschen, dienen als Unterstand für die Geräte der Winzer und für Pausen und bei Gewitter. (Foto: Deutsches Weininstitut)