Wirte im Lockdown: Interview mit Helena Heilig über ihre Portrait-Serie


2. März 2021

Helena Heilig ist Fotografin in München. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hat sie damit angefangen, Wirte in ihren leeren Gaststätten abzulichten. Begleitet wurde sie von der Journalistin Susanne Fiedler, die dazu Interviews geführt hat. Die entstandenen Schwarz-Weiß-Bilder zeigen Tristesse, Einsamkeit und Stillstand, aber auch den Willen, die Pandemie zu überstehen. Mittlerweile war die 43-jährige Fotografin mit ihrem Projekt „Wirte im Lockdown“ unter anderem in Berlin, Frankfurt, Stuttgart, Leipzig, Dresden und in der Metropolregion Rhein-Neckar. Wie es zu den Fotos in Heidelberg – etwa im Oben, Neo, Fandango, Joe Molese und dem Europäischen Hof – kam und weshalb die Pandemie auch die Pläne der Fotografin durcheinander gebracht hat, erzählt uns Heilig im Interview.

Frau Heilig, mit welchen Emotionen sind die Gastronomen bei den Shootings auf Sie zugekommen?
Heute habe ich bei einem Shooting in Leipzig einen Restaurantbesitzer gefragt, wie es ihm geht. Sein Kinn hat daraufhin angefangen zu zittern und Wasser ist ihm in die Augen gestiegen. Es ist wirklich krass, was momentan passiert. Es berührt mich immer wieder, wenn gestandenen Männern die Tränen kommen. Solche Eindrücke nehme ich auch mit nach Hause. Meine Bilder sind auch nicht dazu da, Hoffnung zu transportieren. Es sind Dokumente der Zeitgeschichte.

Das Projekt nahm seinen Anfang in München. Sie haben aber unter anderem auch in Heidelberg und Weinheim fotografiert. Wie kam es dazu?
Ich bin in der Gastro-Branche nicht verwurzelt und brauche Türöffner. Nach der Fotoserie in München habe ich weitere Kreise gezogen und in Berlin und Hamburg weitergemacht. In der Hansestadt habe ich unter anderem im Kitchens Restaurant in der Hafencity fotografiert. Dort hat man mir dann den Kontakt zu Robert Rädel in Heidelberg vermittelt – so bin ich in der Metropolregion gelandet.

Durch das Projekt haben Sie Kontakt zu Gastronomen in ganz Deutschland. Konnten Sie dabei regionale Unterschiede erkennen? Geht man etwa im Norden anders mit der Situation um als im Süden?
Redebedarf haben prinzipiell alle. In Leipzig habe ich den Eindruck, die Leute sind hier etwas skeptischer, was das Projekt angeht. In Heidelberg hingegen hatte ich zuvor viele Anfragen, mehr als wir schaffen konnten. Im Norden wiederum haben viele die staatliche Hilfe für die Gastronomie gelobt, die die anfängliche Panik etwas lindern konnte. In München war man eher mit der schleppenden Auszahlung der Unterstützung unzufrieden. Diese Unterschiede könnten aber auch mit der zeitlichen Abfolge meiner Besuche zusammenhängen.

Welche Geschichte hat Sie auf Ihrer Reise am meisten beeindruckt?
Jimmy Kneipp vom Fandango in Heidelberg hatte vor dem Lockdown immer viele Stammgäste am Tresen sitzen, die bei ihm ihr soziales Wohnzimmer hatten. Ihm taten die Leute so leid, dass er für sie eingekauft und gekocht hat. Diese Geschichte hat mich sehr berührt. Generell höre ich immer wieder, dass Kollegen in dieser Ausnahmesituation zu Freunden wurden, noch mehr aufeinander achten und enger zusammenrücken. Manche verabreden sich etwa zu einem Spaziergang, um einfach miteinander sprechen zu können. Die Auswirkungen der Pandemie sind aber natürlich nicht nur auf die Gastronomen selbst beschränkt, da geraten ganze Lieferketten durcheinander. Die Hühner hören ja nicht plötzlich auf, Eier zu legen – obwohl die derzeit kein Gastronom kauft.

Es war bereits eine Ausstellung Ihrer Fotos geplant, bis der zweite Lockdown dazwischen kam. Sie sitzen nun quasi mit den Gastronomen in einem Boot. Hat dies Ihre Perspektive verändert?
Ja, ich bin es gewohnt, etwas zu planen und dies dann auch umsetzen zu können. In diesem Fall konnte ich nichts dagegen tun und musste die Absage hinnehmen. So sind Einnahmen verloren gegangen, die für das Projekt sehr wichtig gewesen wären. Trotzdem reise weiter durch Deutschland und mache meine Fotos. Da hängen so viele Dinge mit dran, so wie bei den Gastronomen auch. Aber wenn es wieder losgeht, sind wir mit dem ersten Teil der Bilder in drei Tagen ausstellungsbereit. Ursprünglich wollten wir die Bilder überhaupt nicht digital verbreiten, die Leute sollten sich die Portraits in der Ausstellung ansehen. Was wir bei Instagram posten, ist auch nur ein Ausschnitt des Bildes. Die Wirkung des vollen 4:3-Formats ist damit nicht zu vergleichen. 

Wie viele Fotos sind bisher entstanden und wie soll es mit dem Projekt weitergehen?
Bisher war ich in insgesamt 11 Städten. Dabei sind rund 160 Portraits entstanden, die jeweils aus meinem Foto und einem Interview bestehen. Für jeden Besuch planen wir rund 60 Minuten ein, bei mehreren Gastronomen pro Tag darf nicht viel dazwischenkommen. Als nächstes steht noch Hannover und Bremen auf meiner Liste. Alles weitere hängt davon ab, wie lange der zweite Lockdown noch andauert und was danach noch alles kommt. Auf jeden Fall soll ein Bildband entstehen und wir möchten unsere Arbeit in Form einer Wanderausstellung zeigen, die durch Deutschland tourt.

Nach all den Erfahrungen, die Sie mit der Aktion sammeln konnten – wie stellen Sie sich persönlich Ihren ersten Restaurantbesuch vor, wenn es wieder die Möglichkeit dazu gibt?
Auf jeden Fall werde ich mit maximal vielen Freunden ausgehen, die ich alle in den Arm nehmen möchte. Dazu genehmige ich mir dann den ein oder anderen Schnaps – um darauf anzustoßen, dass wir diese sonderbare Zeit überstanden haben!  

Weitere Infos gibt es auf  der Homepage des Projekts. Die Fotografin Helena Heilig freut sich über Unterstützung für #wirteimlockdown – entweder in Form eines virtuell ausgegebenen Kaffees oder einem finanziellen Beitrag über Patreon.

 

Weitere Themen, Tipps und Trends gibt es übrigens hier.

Wirte im Lockdown

Helena Heilig

OBEN (Foto: Helena Heilig)

NEO (Foto: Helena Heilig)

Fandango (Foto: Helena Heilig)

Joe Molese (Foto: Helena Heilig)

Europäischer Hof (Foto: Helena Heilig)